Omar
Khayyam
(gespr. Omar Chaijam), dessen vollständiger Name Ghiyath
al-Din Abul
Fateh Omar Ibn
Ibrahim Khayyam lautete, war ein persischer Philosoph, Dichter,
Mathematiker,
Physiker und Astronom. Khayyam wurde 1048 in Nayshapur geboren, wo er
auch 1131
starb. Die Stadt Nayshapur liegt im nordöstlichen Teil von
Persien, in der
heutigen Provinz Khorasan´e Razavi. Der Name Khayyam bedeutet
"Zeltmacher", was auf den Beruf seiner Vorfahren hindeuten kann.
An
dieser Stelle möchte
ich Euch mit ihm bekanntmachen.
«The
Rubàiyàt of Omar Khayyàm»,
in Deutschland leider kaum verbreitet, hat -
übersetzt von EdwardFitzGerald
- in der Literatur des englischsprachigen Raums ihren festen
Platz und ist gern gelesen. Mir selbst
ist das Büchlein seit meiner Zeit in Bournemouth stets
treuer Wegbegleiter geblieben. Ich greife immer wieder gerne
darauf
zurück, wenn es darum geht, Dinge zu
relativieren oder wo nötig,
zu entkräften. Die
Menschheit ändert sich. Das Leben an sich, hingegen,
ist immer das
selbe - egal ob vor tausend Jahren oder jetzt. Somit bleiben
diese Verse in ihrem Inhalt über alle Zeiten hinaus stets
aktuell.
In
der deutschen Übersetzung machte sich
Friedrich Rosen einen
Namen.
Das Buch ist erschienen in der
Insel-Bücherei
Nr. 407.
Des
Lebens Karawane zieht mit Macht Dahin,
und
jeder Tag, den du verbracht Ohne
Genuß, ist ewiger
Verlust. - Schenk
ein Saki! Es schwindet schon die Nacht
2 Vom
Himmel reißt der Morgen das schwarze Tuch Der
Nacht, drum füll mit Magierwein den Krug. Saki,
und
reib dir deine Augen wach! Glaub
mir, du schläfst
dereinst noch lang genug --
3 Weißt
Du, warum bei jedes Frührots Schein Der
Hahn dich schreckt duch sein eindringlich Schrein? Weil
wieder
eine Nacht vom Leben schwand, Und
du schläfst sorglos
in den Tag hinein.
4 Unter
des Mondes wechselvollem Licht Das
Schicksal uns kein
Morgenrot verspricht. Drum
trink im Schein des Monds, denn
mancher Mond Blickt
auf die Erde einst und sieht uns nicht!
5 Geschlechter
sind erglüht wie helle Funken, Haben
gelebt, geliebt, gehaßt, getrunken; Sie
leerten hier
ein Glas und sind verlöscht, Sind
in den Staub
der
Ewigkeit versunken.
6
Die goldnen Lichter, die am blauen Weltrad gehn,
Haben sich viel gedreht und werden sich drehn. -
Und wir, im ew'gen Kreislauf der Erscheinungen,
Kommen
auf kurze Zeit, um wieder zu vergehn.
7
Die wir der göttlichen Begeistrung Wein genossen,
Aus niedrem Stoff erreicht des Himmels höchste Sprossen
Wenn alles Körperliche endlich abgestreift, - Werden
wir wieder Staub, aus dem wir sind entsprossen -
8
Der Du so tief gegrübelt Tag und Nacht
Und über Welt und Leben nachgedacht,
Sieh nur einmal, wie's dieses Schicksalsrad Bisher
mit allen
andern hat gemacht!
9
Das Weltrad hat stets Böses nur im Sinn,
Was es auch bringt, bleibt doch nicht dein Gewinn.
Und
legt es wirklich mal ein Zuckerstück
Dir in den Mund, schlucke nicht, 's ist Gift darin
10
Was hat dies Weltrad nicht viel edles Blut vergossen!
Wie mache Blume welkt, die kaum der Erd entsprossen!
Verlaß dich, Knabe, nicht auf deiner Jugend Glanz!
Wie manche Knospe fiel, ehe
sie noch ward entschlossen!
11
In diesem Garten, der erstickt das Gute,
Bring ich mein Leben hin mit trübem Mute,
So wie die Knospe ist mein
Herz beengt
Und wie die Tulpe rot von eignem Blute.
12
Die Rose, die in meinem Garten stand,
Sprach: «Ich bin Joseph aus
Ägyptenland.»
«An welchem Zeichen», fragt ich, «kenn
ich das?»
Sie sprach: «An meinem blutigen Gewand.»
13
Was hab ich denn von all des Lebens Plagen ? - Nichts!
Von aller meiner Müh davongetragen? - nichts!
Was nützt mirs, dass ein Licht ich war, wenn ich verbrannt?
Was nützt das Glas Dschemschids, wenns doch zerschlagen?
14
All unser Leben und Streben - was taugts?
Und all unser Wirken und Weben - wer brauchts?
Im großen Schicksalsofen verbrennt
So vieles Edle und Gute - wo rauchts?
15
Wenn längst wir nicht mehr sind, wird sich dies Weltrad drehn,
Wenn unsre Spuren längst im Sand der Zeit verwehn.
Einst waren wir noch nicht - und 's hat nichts ausgemacht!"
Wenn einst wir nicht mehr sind - wirds auch noch weitergehn.
16
Was kann das Leben uns denn nun noch weiter frommen?
Was es uns etwa bringt, wird uns auch gleich genommen! –
Wüssten die Ungebornen nur, wie wenig uns
Dies Erdenleben gibt – sie würden nicht erst kommen.
17
Da ja in diesem Haus mit den zwei Toren Von allem,
was wir uns zur Lust erkoren,
Uns nichts verbleibt, so wär es
besser schon,
Uns hätte unsre Mutter nie geboren. -
18
War einst ein Schloß, das bis zum Himmel ragte,
Vor dessen Mauern Königsstolz verzagte,
Auf diesen Trümmern klagt jetzt des Täubchens Ruf,
Der klingt, als obs nur wo, wo? wo, wo? fragte.
19
Ein Vogel saß einst auf dem Wall von Tus,
Vor ihm der Schädel König Keikawus,
und klagte immerfort «afssus,
afssus! Wo
bleibt der Glocken und der Pauken
Gruß?»
20
Dem Töpfer sah einst im Basar ich zu,
Wie er den
Lehm zerstampfte ohne Ruh.
Da hört ich, wei der Lehm ihn
leise bat:
«Nur sachte Bruder, einst war ich wie du.»
21
Der Töpfer in der Werkstatt stand
Und formte
einen Krug gewandt,
Den Deckel aus eines Königs Kopf,
Den Henkel aus eines Bettlers Hand.
22
O Töpfer, nimm dich etwas mehr in acht,
Behandle deinen Ton mit mehr Bedacht!
Du hast vielleicht den Finger Feriduns
Und Cyrus' Hand mit auf dein Rad gebracht.
23 Einst
schwebte dieser Krug, wie ich, in Liebesbangen,
In dunkler Locken Netz war er, wie ich,
gefangen;
Und was am Hals des Krugs als Henkel du erblickst,
War eine Hand einst, die der Liebsten Hals umfangen.
24
Gestern zerschlug ich meinen Krug mit Wein
In meiner Trunkenheit an einem Stein.
Da sprach des Kruges Scherbe; «Wie du bist,
War ich, und wie ich bin, wirst du einst sein.»
25
Was predigst du vom Fasten und vom Beten?
Statt zur Moschee laß uns insWeinhaus treten.
Füll Krug und Becher, eh
sie deinen Staub,
Khajjam, zu Krügen und zu Bechern kneten.
26
O komm, Geliebte, komm, es sinkt die Nacht,
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifels Dunkel! Nimm den Krug und trink,
Eh man aus unserem Staube Krüge macht.
27 Laß
uns
am Bachesrand im Grünen
liegen
Und such an Krug und Becher dein Vergnügen! Manch
holde
Maid, zypressenschlank
wie du,
Ward hundertmal
zu Bechern und zu Krügen. -
28
Dort auf dem Wiesengrün, vom Bach umflossen,
Sind tausend prächt'ge Blumen aufgeschossen.
Tritt leise auf ds Grün! Wer weiß, obs nicht
Aus einer Blumenwangigen Staub entsprossen! -
29
Wo aus der Erde Tulpen rot entsprossen,
Ist sicher eines Königs Blut geflossen.
Und wo ein Veilchen aus der Erde blickt,
Hat einst ein holdes Auge sich geschlossen.
30
Siehst du der Blumen Pracht, das frische Laub?
In einer Woche ists des Herbstwinds Raub.
Drum
trink und pflücke nur die Blumen schnell,
Eh du wie sie zerfallen bist zu Staub.
31
Vor dem, was kommt, werd dir die Wang nicht blaß,
Von dem, was war, werd dir das Aug nicht naß!
Grase nur froh der Erde Halme ab,
Eh dich die Sichel
selbst hinmäht
wie Gras.
32
Nimm an, dein Leben sei ganz nach Wunsch gewesen - was dann?
Und wenn
das Lebensbuch nun ausgelesen - was dann?
Nimm an, du lebtest in Freuden hundert Jahr -
Nimm meinthalb an, es seien zweihundert gewesen - was dann?
33
Und lebtest du dreihundert Jahr und drüber noch hinaus,
Aus dieser Karawanserei muß du einst doch hinaus.
Ob du ein stolzer König warst oder ob bettelarm,
Das kommt an jenem letzten Tag auf selbe doch hinaus.
34
Von allen, die den weiten Weg gemacht,
Hat
keiner Nachricht noch zurückgebracht.
Laß
nur nichts liegen in dieser Herbergswelt!
Nie kehrt zurück, wer sich erst aufgemacht.
35
Der Jugend Buch ist aus - und war doch kaum begonnen!
Kaum hat der Lenz geblüht, ist er auch schon verronnen.
Ich merkt nicht, wie sie kam, noch wie sie flog davon,
Die holde Nachtigall, die Zeit der Jugendwonnen.
36
Hin ist die Jugenzeit mit ihrem Glanz und Blinken -
Herb ward des Lebens Trank, doch muß ich ihn ja trinken!
Mein Leib, einst wie ein Pfeil, ist jetzt gekrümmt zum
Bogen, Die
Sehne ist der Stab, an dem ich nun muß hinken.
37
Zum
Meister ging ich einst - das war die Jugendzeit -
Dann hab ich mich der eigenen Meisterschaft gefreut.
Und wollt ihr wissen, was davon das Ende ist?
Den Staubgebornen hat wie Staub der Wind zerstreut. -
38 O
Zeltmacher, dein Leib gleicht einem Zelt,
Der
Sultan «Geist» nur kurze Rast drin
hält.
Und wenn der Sultan sich zum Aufbruch schickt,
Dann kommt der Tod und bricht es ab, das Zelt.
* * *
WELTRÄTSEL
39
Von dieser Erdenwelt scheid ich nun ab,
Die
eine Zeitlang mir ein Obdach gab;
Von allen Rätseln ward mir keines gelöst,
Und tausend Zweifel nehm ich mit ins Grab.
40
Als ich noch in der goldnen Jugend stand,
Schien mir des Daseins Rätsel fast bekannt.
Doch jetzt, am Schluß des Lebens, seh ich wohl,
Daß ich von allem nicht ein Wort vestand.
41
Ich war ein Falke, den sein kühner Flug
Hinauf zum Reich der ewigen Rätsel trug.
Dort fand ich keinen, der sie mir enthüllt,
Und kehr zur Erde wieder bald genug.
42 Hoch
überm Firmament sucht ich die Quelle Von
Vorbestimmung, Paradies und Hölle. Da sprach mein
weiser Lehrer: «Freund, in dir Allein sind Kismet,
Paradies und Hölle.»
43 Fiel Gut'
und
Böses dir im Leben zu, 'Ward
Not und Angst dir oder Glück und Ruh, schreibs nicht
dem Weltrad zu, das Weltrad ist Noch
tausendmal
ohnmächtiger als du! -
44 Von dieses Weltrads Drehung verstand ich nichts, Und
außer Zweifeln darunter fand ich nichts. Im Ringen
nach Erkenntnis bracht ich hin Mein langes Leben - und doch
erkannt ich nichts
45 Was
diesen goldnen Dom in Umlauf einst gesetzt Und wie
sein stolzer Bau ins Wanken kommt zuletzt, Hat keines Weisen
Stein zu finden noch vermocht Und keine Waage noch, kein
Maßstab abgeschätzt.
46 Kein
Mensch
erklärt die Rätsel
der Natur, Kein
Mensch setzt einen Schritt nur aus der Spur. Die seine Art ihm
vorschrieb, und es bleibt Der
größte
Meister doch ein Lehrling nur.
47 Von diesem Kreis,
in dem wir hier uns drehn, Kann
ich nicht Anfangspunkt, nicht Endpunkt sehn. Noch keiner sagt'
mir, wo wir kamen her, Und
keiner weiß, wohin von
hier wir gehn. -
48 Mit
Schmerzen führt'st ins Dasein Du mich ein. Das Leben
gab mir nichts als lauter Pein. Mit Widerstreben scheid ich. -
Sprich, was war Der
Zweck von meinem Kommen, Gehn und
Sein?
49 Was hat es Dir
genützt, daß ich gekommen? Was
hilfts Dir, wenn Du einst mich fortgenommen? Ach, keines
Menschen Ohr hat je vernommen, Wozu
von hier wir gehen, wozu
hierher wir kommen.
50 Als Du das
Leben
schufst, schufst Du das Sterben: Uns,
Deine
Werke, weih'st Du dem Verderben. Wenn schlecht Dein Werk war,
sprich, wen trifft die Schuld? Und war es gut, warum
schlägst Du's in Scherben?
51 Zuerst hatt' ich
mein Ich noch nicht erkannt Zuletzt
zerschneid'st Du des Bewußseins Band. Da dies von
Anfang Deine Absicht war, Was
macht'st Du mich erst mit mir
selbst bekannt?
52 Die
einen streiten viel um Glauben und Bekenntnis, Die andern
grübeln tief nach Wissen und Erkennis; So wird es
gehn, bis einst der Ruf sie schreckt: Es fehlt so euch wie
euch zur Wahrheit das Verständnis.
53 Um Dogmen und Satzungen streiten die einen, Die
andern um Glauben oder Verneinen. Wer sind nun die, denen die
Wahrheit sich zeigt? Die Antwort ertönt: sie zeigt
sich keinen.
54 Das
Rätsel dieser Welt
löst weder du noch ich, Jene
geheime Schrift liest weder du noch ich. - Wir
wüßten beide gern, was jener Schleier birgt, Doch
wenn derSchleier
fällt, bist weder du noch
ich.
55 Die ihre Lust nur
stets gesucht im Wein Und
die
gegrübelt nur nach Schein und Sein, Sie alle fanden
der Wahrheit Faden nicht, Redeten wirr und schliefen
schließlich ein.
56 Könnt'st lebend du der Welt Geheimnis
fassen, Würd'st
auch im Tod von diesem Hort nicht lassen. Was lebend du nicht
fass'st, wie willst du das Erst
fassen, wenn die Sinne dir
erblassen?
57 Der
Welt Geheimnis wirst du nicht ergründen, Das
Wort,
das keiner fand, wirst du nicht finden.
Schaff
dir mit Wein
ein Erdenparadies! Obs dort ein Paradies gibt, wir sich
finden.
58 Von allen, die
auf Erden ich gekannt, Ich
nur zwei
Arten Menschen glücklich fand: Den, der der Welt
Geheimnis tief erforscht, Und den, der nicht ein Wort davon
verstand.